Das prosaische 'Ich'. Ich-ErzählerInnen in der Gegenwartsliteratur
Universität Hamburg, Institut für Germanistik II
Seminar Ib / Aufbaumodul
Sommersemester 2008
Veranstaltungsnummer: 52-233
Zeit und Ort: Mittwochs 14-16 Uhr; Phil-Turm, Raum 1203
Beginn: 02.04.2008
Ich-Erzähler und -Erzählerinnen haben Konjunktur in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Das behauptet jedenfalls Juli Zeh in ihrem Essay »Sag nicht Er zu mir« (2004). Die Autorin geht der Frage nach, weshalb es insbesondere der jungen Generation so schwer falle, »er« zu schreiben. In dem Seminar wird es darum gehen, Zehs Überlegungen aufzugreifen und auf ihre Voraussetzungen zu prüfen, aber auch, sie auszuweiten und mit Hilfe verschiedener Ansätze zu vertiefen:
- Literatursoziologie: Wie hoch ist der Anteil von Ich-Erzählungen in verschiedenen Epochen, Genres, Ländern oder Erzähler-Generationen, und wie bekommt man das zuverlässig heraus? Wenn ein Trend festzustellen ist: Warum ist das so?
- Erzähltheorie: Was sind die Eigenschaften eines Ich-Erzählers, und was bringt dieses Wissen für die Analyse von Erzählungen?
- Gattungen: Was ist der Unterschied zwischen Ich-Erzähler und dem 'Lyrischen Ich', und lässt sich vielleicht einer der Begriffe für das Verständnis der je anderen Gattung fruchtbar machen?
- Fiktion vs. Realität: Inwieweit ist die schulmäßige Trennung von Erzähler und Autor noch zu halten? (Oder: Warum Maxim Billers Roman »Esra« mit Hinweis auf den Ich-Erzähler verboten bleibt.)
Grundlage für die Beschäftigung mit den Eigenschaften von Ich-ErzählerInnen wird die Analyse ausgewählter Romane und Kurzgeschichten aus der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur sein, den Anfang macht Christian Krachts »Faserland«.
Bitte lesen Sie bis zum Seminarbeginn den Roman »Faserland«, den genannten Essay von Juli Zeh (Text online erhältlich) sowie eine aktuelle Anthologie deutschsprachiger Kurzgeschichten (s. unten).
Weitere Anforderungen: Beteiligung an einem virtuellen Seminarraum auf AGORA, regelmäßige Lektüre von Sekundärliteratur, Recherche im Literaturbetrieb, Kurzreferat und eine schriftliche Hausarbeit.
Literatur
Pflichtlektüre bis zu Seminarbeginn
- Werner Bellmann und Claudia Hummel (Hg.): Deutsche Kurzprosa der Gegenwart. Stuttgart: Reclam 2005.
- Christian Kracht: Faserland. Roman. [Erstausgabe: Kiepenheuer & Witsch 1995]. (In verschiedenen Taschenbuchausgaben bei dtv erhältlich.)
- Juli Zeh: Sag nicht Er zu mir. Oder: Vom Verschwinden des Erzählers im Autor, in: Literaturen, Nr. 3, März 2004.
Lektürevorschläge
Die Liste der Lektürevorschläge wird bis zu Beginn des Seminars laufend erweitert. Wer möchte, kann sich gerne schon einmal kursorisch einlesen, um einen ersten Eindruck vom Gegenstand zu bekommen oder um Ideen für Referat und Hausarbeit zu sammeln.
Erzählanthologien / Gegenwartsliteratur
- schall und rauch. die zweite anthologie der textdiebe. München: teXtdiebe Verlag 2002.
- Martin Brinkmann (Hg.): 20 unter 30. Junge deutsche Autoren. Stuttgart: DVA 2002.
- Dirk Frank (Hg.): Popliteratur. Für die Sekundarstufe. Stuttgart: Reclam 2003.
- Kerstin Gleba und Eckhard Schumacher (Hg.): Pop seit 1964. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007.
- Martin Hielscher (Hg.): Wenn der Kater kommt. Neues Erzählen - 38 deutschsprachige Autorinnen und Autoren. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1996.
- Christian Kracht (Hg.): Mesopotamia. Ein Avant-Pop-Reader. München: dtv 2001.
- Katja Lange-Müller (Hg.): Vom Fisch bespuckt. Neue Erzählungen von 37 deutschsprachigen Autorinnen und Autoren. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2002.
- Iris Radisch u.a. (Hg.): Die Besten 2002 [ff.]. Klagenfurter Texte; die 26. [ff.] Tage der Deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. München: Piper 2002 [ff.].
- Uwe Wittstock (Hg.): Kunst des Erzählens. Zwanzig Abenteuer aus der Gegenwart. Frankfurt am Main: Fischer 1996.
Erzählanthologien / historisch
- Walter Hinck (Hg.): Jahrhundertchronik. Deutsche Erzählungen im 20. Jahrhundert. Stuttgart: Reclam 2007.
- Albert Meier(Hg.): Deutschland erzählt. 4 Bände. Frankfurt am Main: Fischer 2006. [Klassik und Romantik; Realismus; Fin de Siècle, Avantgarden, Exil; Vom Kriegsende bis zur Wiedervereinigung]
Sekundärliteratur
- Michal Glowinski: On the First-Person Novel. Translated by Rochelle Stone. In: New Literary History 9 (1977), H. 1, S. 103–114.
- Fotis Jannidis u.a. (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen: Niemeyer 1999.